Ein Wort der Verlegerin
Als ich die ersten Kapitel der ersten Fassung von Peters Manuskript lesen durfte, wusste ich: Peter bekommt von mir jede Unterstützung, die er möchte, damit er diese aufrüttelnde Familiengeschichte wirklich fertig schreibt und veröffentlicht. Das war vor Februar 2022 und hatte also mit dem heute in der Ukraine toben den Krieg nichts zu tun. Natürlich lesen wir heute das Buch noch einmal ganz anders – einfach, weil es uns leichter fällt, diesen Landstrich Wolhynien, aus dem Peters Vater stammt, überhaupt zu verorten.
Auch ich, geboren 1962, gehöre zur Generation der Kriegsenkel; wie oft habe ich schon in Runden mit Menschen meines Alters gesessen und wir sprachen darüber, was wir über die Erfahrungen, Ängste und Nöte unserer Eltern – der Generation der Kriegs-Kinder – alles nicht wissen. Was wir auch nie erfahren werden. Ich bin Peter einfach dankbar dafür, dass er die Geschichte seines Vaters mit uns teilt und damit den bleiernen Vorhang vor einer in vielen Familien verborgenen Welt auch für uns andere ein wenig hebt. In meiner Schreibwerkstatt beobachte ich seit etwa zehn Jahren, dass Autorinnen und Autoren verstärkt über die eigene Vergangenheit schreiben – oder Themen aus ihr schöpfen. Das sind dann meist Autorinnen und Autoren mit DDR-Vergangenheit. Was sie zum Schreiben treibt: Zu vieles (Zeitgeschichtliche!) blieb bislang ungesagt, erscheint unklar oder kann durch persönliche Sichtweisen sinnvoll ergänzt werden. Der Vergangenheit der Eltern hingegen widmen sich Autorinnen und Autoren aus Ost und West gleichermaßen verstärkt: Hier ist es ebenfalls der Wunsch, so viel wie möglich festzuhalten von dem, was sie wissen oder in Erfahrung bringen können. Allerdings trauen sich die wenigsten, das er arbeitete Wissen in Romanform zu packen. Warum eigentlich nicht? In Filmen akzeptieren wir mühelos die – auch historischen – Szenen, die uns gezeigt werden. Durch Bilder und Musik fühlen wir uns ein in fremde Welten, lassen uns berühren – und idealerweise auch zum Nachdenken anregen.
In den letzten Tagen der Arbeit am Buch hatte ich das kleine, undeutlich ausgedruckte Foto von Kolja auf dem Schreibtisch liegen. Mir kommen schon wieder die Tränen, wenn ich nur darüber schreibe. Das Foto zeigt den wahrscheinlich 14-Jährigen in einer Luftwaffenhelferuniform. Er lächelt, wie Jungs in dem Alter so lächeln. Ich weiß das genau, mein Sohn hat auch so gelächelt. Bei dem Gedanken, was meinem Sohn, Jahrgang 1996, erspart geblieben ist, verspüre ich Dank, unendlichen Dank. Und ich wünsche es allen Söhnen und ihren Müttern, natürlich auch allen anderen Menschen, dass ihnen Krieg und das damit verbundene Elend er spart bleibt. Von Dank und Wünschen ist es für mich aber nur ein kleiner Schritt zur Empörung: Wie kann es sein, dass wir Menschen auf dieser Erde nicht Frieden halten können?
Koljas Geschichte zeigt einmal mehr: Es ist eben alles nicht einfach. Und weil das so ist, danke ich meinem Autor Peter Arndt umso mehr dafür, dass er mir sein Buch anvertraut hat. Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass es möglichst viele Menschen erreicht, miteinander ins Gespräch bringt – über Vergangenes hinaus, über territoriale Grenzen ebenso hinweg wie über Grenzen in den Köpfen. Und vor allem: für die Verständigung der Menschen und für den Frieden.
Martina Rellin